Von der Verführungskunst der Apps

Die Vorschläge für das Jugendwort 2017 sind so verschieden wie erhellend: von „Fernschimmeln“, also nicht am gewohnten Platz chillen, über „Napflixen“ – ein Nickerchen machen und dabei einen Film laufen lassen – bis „unlügbar“ reichen die Neogolismen unseres Nachwuchses. Mir persönlich gefällt „Noicemail“ sehr gut, der Kurzbegriff für nervige Sprachnachrichten. Oder „Teilzeittarzan“ als Bezeichnung für männliche Mitmenschen, die sich hin wieder wie ein Affe verhalten. Da bekommt der bereits etablierte Begriff „Großstadtdschungel“ eine völlig neue Dynamik. Auffällig ist, wie viele der Vorschläge durch den Gebrauch von Smartphone und Internet entstanden sind. Kein Wunder, immerhin benutzen rund 49 Millionen Menschen in Deutschland ein Smartphone. 91 Prozent aller 12- bis 13-Jährigen und satte 96 Prozent aller 18- bis 19-Jährigen besitzen heute eines. Ob „emojionslos“, „selfiecide“, das jenen tragischen Tod bezeichnet, der durch spektakuläre Selfie-Versuche verursacht wird, „sozialtot“, also nicht in sozialen Netzwerken angemeldet, oder „tinderjährig“, will heißen alt genug, die App Tinder® zu nutzen – die Sprachentwicklungen spiegeln den Alltag unserer Mediennutzung wieder. Und genau hier schließt sich mein Vorschlag für Nr. 31 auf der Liste des Langenscheidt Verlags an: „Apphängigkeit“.

Hand aufs Herz: Wie viele Apps haben Sie auf Ihrem Handy? Vorsichtig geschätzt mindestens 20. Sie brauchen nicht rumzudrucksen. Jeder Fünfte hat sogar mehr als 30 Apps installiert. Ob Spiele, Nachrichten, Wetter, Navigation oder soziale Netzwerke – Apps, also Anwendungssoftware für mobile Betriebssysteme, versprechen ihren Nutzern vor allem eines: Nutzen. Das Handy fungiert dank App nicht nur als Kompass und Taschenlampe, um sich an jedem Ort der Welt einen Weg bahnen zu können, sondern längst auch als Gesundheitsüberwacher, Zeitmanager, Lebensberater und Spion. Würde mir ein Pagenkopf stehen? Die App weiß es. Dass meine Choreografie zu „Beautiful“ genauso gut ist wie die von Christina Aguilera zeige ich mit meiner App allen, die es wissen wollen. Sie wollen lieber wissen, was Donald Trump den ganzen Tag lang treibt? Die richtige App verrät es Ihnen. Und für alle, die eine Schnellschulung in bestimmten handwerklichen Techniken wünschen, hat eine der weltweit beliebtesten Apps bestimmt den passenden Film parat. Wer sich nicht traut, seinen Mitmenschen von Angesicht zu Angesicht intime Fragen zu stellen, tut es – na klar- via App in einer riesigen Community. Ohne App, so scheint es, geht gar nichts mehr.

Nicht wenige Apps dienen auch schlicht der Kurzweil: das eigene Konterfei witzig gestalten, das Handy zum Furzen bringen oder das Haustier zum Sprechen – dem Nonsens sind kaum Grenzen gesetzt. Ich warte noch auf die App zum Hintern abwischen, schließlich gibt es für den Toilettengang bereits eine App für längere Sitzungszeiten, um sich in Disziplinen wie Klopapier abrollen oder dem Retten von Gegenständen vorm ultimativen Absturz in die Kloschüssel zu üben.

Aber mal ehrlich, brauchen wir diese Apps wirklich alle, um durchs tägliche Leben zu kommen? Machen Sie unseren Alltag wirklich leichter? Oder verleiten sie uns nicht vor allem dazu, immer und immer wieder zum Handy zu greifen, uns daran festzuklammern als hätten wir ohne ein Handy in der Hand unseren Halt verloren? Eine gewisse „Apphängigkeit“ werden die meisten von uns nicht leugnen können. Deshalb gehört diese Wortneuschöpfung für mich mit auf die Liste. Wer dieser Abhängigkeit entgegen wirken will, für den gibt es – na, wollen Sie raten? – Genau, ebenfalls eine passende App. Diverse Apps meinen es nämlich richtig gut mit uns: Sie registrieren jeden Chat und Check, den wir binnen eines Tages mit unserem Handy tätigen. Das hehre Ziel: Die Apps wollen uns vor Handy-Abhängigkeit warnen. Nee, ist klar. Dann mal app dafür:-)

Quellen: br-online.de/jugend/izi/deutsch/Grundddaten_Jugend_Medien.pdf, statista.de