Vollmundige Versprechen

Wie die Kosmetikindustrie uns überzeugen will

Wer als Frau in die Jahre kommt, hat den zweifelhaften Vorzug, von seinen Mitmenschen mit Pflegeprodukten bedacht zu werden, die den Alterungsprozess verlangsamen sollen. Ich bin ziemlich sicher, dass kein Mann ab 40+ auf seinem Gabentisch so viele Wunder versprechende Kosmetik verzeichnen darf wie eine Frau selben Alters. Schade eigentlich, denn damit entgeht ihm auch die Wortgewalt der Verpackungstexte. Dass die Verwendung von Anglizismen den Fortschritt der Technik eines Produkts unterstreichen soll, ist hinlänglich bekannt. Doch als ich die Beschreibung des „Ultimativ korrigierenden Make-ups mit HD-Effekt“ las, dachte ich kurz, nach der Anwendung müsste ich mindestens fliegen können. Nicht nur dass die „innovative Formulierung absolut schwerelos“ sein soll. Nein, die „High Performing Pigments“ sorgen auch noch „für optimale Deckkraft, ohne selbst bei naher Betrachtung sichtbar zu sein“. Wenn ich dieses Make-up trage, können Sie mich künftig also mit der Lupe suchen…temporäre Unsichtbarkeit hätte schon seinen Reiz, finde ich. Ein bisschen Angst hingegen machte mir dann der Hinweis auf den „Acti Lift Komplex“. Es habe eine gehaltvolle Textur, welche mit der Haut verschmilzt. Die Crème wirke aktiv in allen Hautschichten. Welche unheimlichen Prozesse vollziehen sich da auf meinem Gesicht?! Der nächste Satz gab mir dann den Rest: „Hierdurch wird die Gesichtskontur wieder hergestellt.“ Ich war mir gar nicht bewusst, die Kontur bereits verloren zu haben. Jetzt stelle ich mir vor, wie das Make-up mein Gesicht in eine schmelzende Masse verwandelt und am Ende wiederherstellt – aber was geschieht tatsächlich dazwischen?

Worte, die die Verbraucherin vermutlich beruhigen sollen, erreichen bei mir das Gegenteil. Gleichzeitig frage ich mich, wie viel ein Produkt, das aus den Laboren der Weltraumforschung zu stammen scheint, wohl kosten mag? Ein anderes liebevoll zugedachtes Serum verspricht mit seinem „Anti-Irritation-Komplex“ ein „tiefenwirksamer Pflegecoach“ zu sein. Den brauche ich wahrscheinlich auch nach Anwendung des Make-ups – allerdings soll ich das Serum vor dessen Verwendung auftragen. Hmmm… Ich finde, der französische Dichter Jean Cocteau brachte es da schon in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts auf den Punkt: „Ein halbleeres Glas Wein ist zwar zugleich ein halbvolles, aber eine halbe Lüge mitnichten eine halbe Wahrheit.“