Von der Kunst des Abschiednehmens
Eine ältere Familienangehörige liegt im Sterben. Es gilt, Abschied zu nehmen. Der Besuch am Sterbebett ist kein leichter Gang, kostet durchaus ein wenig Überwindung. In welchem Zustand wird sich die Sterbende befinden, was sagt man bei dieser Begegnung? Sterben ist Teil des Lebens, aber bei weitem kein selbstverständlicher Teil unserer Alltagskultur. Für viele Anlässe geben wir von Generation zu Generation Floskeln und Gesten weiter, doch für diesen letzten Akt des Stückes, das sich Leben nennt und mal Tragödie, mal Komödie, oft eine Mischung aus beidem ist, gibt es keine allgemeingültige Regieanweisung.
Und während wir Erwachsenen verstummen ob der ungewohnten Situation, sind es die Kinder, die mit ihren Worten zum Ausdruck bringen, womit wir uns schwer tun. Da ich meiner zehnjährigen Tochter den Anblick der Sterbenden nicht zumuten wollte – nur zu gut erinnere ich an den erschütternden Anblick meiner sterbenden Großmutter, von der ich mit 18 Jahren Abschied nahm -, formulierte mein geliebtes Kind seinen Abschied einfach schriftlich – unerschrocken, direkt und herzlich. Und lehrte mich, wie einfach es sein kann, die passenden Worte zu finden, wenn man sich nur traut: „Liebe xy, leider kann ich mich nicht persönlich von dir verabschieden. Deshalb tue ich es in diesem Brief. Für mich ist es schwer, mich jetzt schon von dir zu verabschieden. Auch wenn wir uns nur zwei Mal gesehen haben, fand ich dich sofort sympathisch. Ich hätte gern noch mehr Zeit mit dir verbracht. Vielleicht sehen wir uns ja mal im Himmel wieder. Aber jetzt sage ich erstmal: TSCHÜS!“